Kundenbindung. Ein schöner Begriff: Kundenbindung. Viele Worte sind bereits zu diesem Trendthema verloren worden. Wie wenige davon aber wirklich Unternehmen angeregt haben, ihre eigenen Kundenbindungsstrategien zu überdenken, zeigt die in den letzten Jahren rasant gestiegene Zahl von Projekten im Bereich Kündigungsprävention, je nach Branche auch Wechsel- und Inaktivitätsprävention oder englisch einfach Churn Prevention genannt. Unserer Erfahrung nach ist in vielen Fällen gerade ein Mangel an Bindung verantwortlich für die Abwanderung des Kunden.
Was aber können Unternehmen heute tun, um ihre Kunden stärker an sich zu binden und die abwanderungswilligen Kunden herauszufiltern, um diese gezielt mit Kampagnen anzusprechen?
Diese und andere Fragen zu dem Thema Churn Prevention beantwortet der hier vorliegende Artikel.
Kennen Sie das auch? Freitagabend – Ein Pärchen sitzt im Restaurant, das Essen war bestenfalls Durchschnitt. Sie hat ihren Teller kaum angerührt. Während er sein Handy in der Tasche verschwinden lässt kommt der Kellner und räumt ab. Dabei fragt er beiläufig: „Hat es Ihnen geschmeckt?“. Das Pärchen lächelt gequält, er fügt noch ein leises „Ja, danke“ hinzu und alle sind zufrieden.
Oder etwa nicht? Das Pärchen hat das Restaurant innerlich bereits abgeschrieben und seine Erfahrungen wahrscheinlich bereits bei Facebook, Google oder Qype gepostet. Auf der anderen Seite rechnet der Kellner noch nicht einmal mehr mit einer Antwort (geschweige denn einer ehrlichen) auf seine rhetorische Frage.
Leider kann dieses Verhalten auch auf andere geschäftliche Kundenbeziehungen transferiert werden. Die meisten davon enden leise, ohne einen Big Bang und ohne, dass das Unternehmen aus seinen Fehlern lernen kann. Ein Trend, den sich heute eigentlich kein wirtschaftlich denkendes Unternehmen mehr leisten kann. Doch wie kann dieser Trend abgewendet werden?
Kündigungsprävention, je nach Branche auch Wechsel- und Inaktivitätsprävention oder englisch einfach Churn Prevention genannt, gewinnt seit Jahren an Bedeutung. Vor allem Unternehmen die in gesättigten Märkten operieren, erkennen zunehmend die Vorteile einer intensiven Kundenbindung1. Aber nicht nur dort bewahrheitet sich die alte Marketingweisheit, dass es fünf bis sieben Mal teurer ist, einen neuen Kunden zu gewinnen als einen Kunden zu halten, beziehungsweise zu reaktivieren. Prozessual reiht sich dieser Schritt im Lebenszyklus des Kunden nach der klassischen Bindung und vor der Reaktivierung ein.
Marketingtechnisch ist es dabei weitestgehend irrelevant ob es sich um Kundeninaktivität, wechselwillige Kunden oder bei Vertragsbindungen kündigungsaffine Kunden handelt. Entscheidend ist der bewusste Akt des Kunden, sich von dem Unternehmen zu entfernen. Daher werden in diesem Artikel die Worte Kundenabwanderung, -Prävention oder Churn auch für alle diese Begriffe synonym verwendet.
Kundenbindung und der Wille des Kunden
Churn Prevention sollte aus dem Kontext heraus betrachtet werden. Es erscheint nur logisch, dem großen Thema Kundenbindung einige Gedanken vorab zu widmen, da ein Mangel in diesem Bereich naturgemäß erst für die Abwanderung des Kunden verantwortlich ist.
Meyer/Oevermann unterscheiden generell vier Treiber der Kundenbindung. Während die drei ersten Treiber (Vertraglich, Technologisch, Ökonomisch) primär auf den aktiven Aufbau von unterschiedlichen Barrieren setzen, geht es bei psychologischen Bindungsursachen um den freiwilligen Wiederkauf des Kunden aufgrund von positiven persönlichen Erfahrungen. Unserer Erfahrung nach hilft der Aufbau von Kündigungsbarrieren nur so weit, wie der Wechsel- oder Kündigungswille des Kunden den Aufwand nicht überwiegt. Daher lohnt es sich, die einzige Säule, die negativ auf diesen Abwanderungswillen des Kunden einzahlt, genauer unter die Lupe zu nehmen. Das anfängliche Restaurant-Beispiel zeigt dies gut: Der Wechselwille nach dem ersten Kauf war bei dem Paar sehr hoch und der Vertreter des Unternehmens hat nichts daran getan dies zu ändern. Nachdem keine Wechselbarrieren vorhanden waren – vorausgesetzt es gibt weitere Restaurants in der Umgebung – werden diese Kunden nicht erneut dort kaufen.
Dem Willen des Kunden, sich von dem Unternehmen zu lösen, steht der Wert der Kundenbindung gegenüber. Da viele Unternehmen heute bereits die Kundenzufriedenheit messen, wird oft der Schluss gezogen, diese als identisch anzusehen. Allerdings haben verschiedene Studien3 gezeigt, dass Kundenzufriedenheit per se als Indikator für einen Wiederkauf (also gelebte Kundenbindung) nicht ausreichend ist. Lediglich Kunden mit einem sehr hohen Zufriedenheitswert zeigten in diesen Studien überhaupt eine verstärkte Bindung zu den Unternehmen.
Unserer Erfahrung nach kann eine so hohe Kundenzufriedenheit, dass sie tatsächlich als Bindungsindikator herangezogen werden kann, nur durch ein gezieltes Kundenerwartungsmanagement erreicht werden. Prof. Noriaki Kano hat zum ersten Mal Kundenanforderungen gemessen. Er fand heraus, dass Anforderungen unterschiedliche Einflüsse auf die Kundenzufriedenheit hatten. So gab es einige Anforderungen, deren Nicht-Erfüllung kaum negativ bewertet wurde, deren Erfüllung aber deutlich positiv wahrgenommen wurde (Begeisterungsanforderungen) und deren genaues Gegenteil (Basisanforderungen). Mit „Leistungsanforderungen“ beschreibt Kano all jene explizit vom Kunden gewünschten Eigenschaften, die bei Über/-Unter-Erfüllung eine moderate Kundenzufriedenheit oder Unzufriedenheit auslösen.
Nach unserem Dafürhalten kann durch eine gezielte Ausrichtung des Vertriebsprozesses auf die Erfüllung von „Begeisterungsanforderungen“ ein positiver Wiederkauftrigger ausgelöst und damit eine signifikant höhere Kundenbindung realisiert werden.
Drei Phasen der Abwanderungsprävention
Projekte zum Thema Churn Prevention können nicht einfach aus der Westentasche geschüttelt werden. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass die Frage nach dem Warum bei einer solchen Reise am Anfang stehen muss. Gelegentlich bringt bereits das Suchen nach einer Antwort alte Grabenkämpfe in Unternehmen wieder zum Lodern und die Verantwortlichen versuchen die Wogen schnell wieder zu glätten. Oft aber sind es dann genau diese internen Auseinandersetzungen, die der Endkunde an anderer Stelle zu spüren bekommt.
Prozessual kann das Thema unterschiedlich gegliedert werden. Aus unseren Projekterfahrungen hat sich die modifizierte Version von Michalski’s (2006) Definition in drei Phasen bewährt:
- Analyse der Kundenabwanderung
- Proaktives Monitoring
- Präventionsmaßnahmen
Die einzelnen Phasen sollen im Folgenden vorgestellt werden.
- Phase: Analyse der Kundenabwanderung
Um einen nachhaltigen Projekterfolg zu sichern und die richtigen Maßnahmen und Prozesse langfristig zu implementieren, gilt es primär die Abwanderungsgründe der Kunden zu ermitteln. Warum hat der Kunde gekündigt? Warum bestellt er nicht mehr? Wie man in unserem einleitenden Beispiel gesehen hat, ist das ein schwieriger Punkt, denn entweder verschleiert der Kunde die wahren Gründe oder äußert sich in den meisten Fällen überhaupt nicht. Daher ist es wichtig, die wahren Gründe für seinen Weggang herauszufinden. Unserer Erfahrung nach lässt sich das am besten mit ereignisorientierten Kundenbeziehungsanalysen realisieren.
Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse bieten neben dem eigentlichen Hauptzweck oft auch wichtige Entscheidungshilfen für das Management. Ergebnisse zeigen, dass oft nur Kleinigkeiten wie ein negatives Telefonat oder verspätet eingetroffene Ware ausreichen, um den Kunden zu einem solchen Schritt zu bewegen. Grundsätzlich können diese Gründe nach den Ursachengruppen als unternehmensbezogene, kundenbezogene und wettbewerbsbezogene Abwanderungsgründe eingeteilt werden(Bruhn/ Michalski, 2005).
So zählen z.B. Fehler im Leistungsangebot oder schlechte Kundenerfahrungen zu den unternehmensbezogenen Ursachen für eine Abwanderung. Persönliche oder berufliche Kundengründe, wie Umzug, negative Erfahrungen, Bedarfsänderungen, etc. zählen zu der mittleren Gruppe. Abschließend bilden alle Aktivitäten des Wettbewerbs oder des Marktes, beispielsweise Sonderangebote, die dritte Gruppe für die Abwanderung eines Kunden.
Die extensive Analyse hat noch einen weiteren Vorteil: Erfahrungsgemäß kann man eine mit dem Abwanderungsgrund zusammenhängende Rückgewinnungswahrscheinlichkeit verbinden. Im Normalfall ist diese bei unternehmensbezogenen Gründen am größten.
- Phase: Proaktives Monitoring
Nachdem dieser wichtige Schritt abgeschlossen ist, kann mit dem Aufbau eines Früherkennungssystems, eines proaktiven Monitorings begonnen werden. Der Aufbau eines solchen Monitorings schließt neben der Etablierung von KPIs zur Früherkennung, die Berechnung von Abwanderungswahrscheinlichkeiten, möglicher Prozess(-hierarchien) zur Abwanderungsprävention auch eine Kundensegmentierung mit ein.
Will man sich diesem Prozessschritt branchenübergreifend nähern, kommt man an der Frage nach dem Kundenverhältnis nicht vorbei. Während in einigen Branchen Vertragsverhältnisse bestehen (Mobilfunk, Abo-Verträge) anhand derer, bei einer Kündigung eine Kundenabwanderung eindeutig festgestellt werden kann, gibt es vor allem im Handel keine festen Kundenverhältnisse (e-commerce, stationärer Handel und Dienstleistungen). Bei letzterem ist eine direkte Ableitung bei einer Kündigung also nicht möglich. Da es sich bei Inaktivität um eine signifikante Abweichung der bisherigen Verhaltensmuster des Kunden handelt, können hier individuell auch „Leitplanken“ für ein akzeptiertes Kundenverhalten etabliert werden. Verlässt ein Kunde durch sein Verhalten diesen Korridor, muss von Unternehmensseite her ein Dialog angestoßen werden. Moderne Data-Mining Operationen können heute sehr schnell aus vergangenheitsbezogenen Daten individuelle Verhaltensmuster errechnen. In den meisten Fällen ist dazu allerdings eine Kombination mehrerer Merkmale nötig, um eine Abwanderungsabsicht erkennen zu können. Mit einem solchen multivariaten Churn-Scoring kann die Zielgruppe besonders bei Kundenbeziehungen ohne Vertragsverhältnis genauer definiert und so Bindungs-, bzw. Aktivierungsmaßnahmen fokussiert werden.
Um diese Zielgruppe weiter zu konkretisieren, ist es sinnvoll, auch eine Kundensegmentierung durchzuführen. Besonders wertbeitragsbezogene ABCGruppierungen, CLT- oder RFM-Analysen eignen sich gut für diesen Zweck. Art und Intensität der Kündigungspräventionsmaßnahmen können so nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen sinnvoll gesteuert werden.
- Phase: Kündigungspräventionsmaßnahmen
In der abschließenden Phase werden die eigentlichen Maßnahmen bestimmt und ausgeführt, mit deren Hilfe der Kunde an einer Abwanderung gehindert werden soll. Grundsätzlich stehen dem Unternehmen dafür natürlich alle Kanäle und Möglichkeiten offen.
Die vier typischsten Bindungsstrategien sind (vgl. Hippner et. al. (2011):
- Anreizstrategien – Kleinere Anreize zur Weiterführung der Kundenbeziehung (Eventeinladungen, Previews, Sonderkonditionen)
- Kompensationsstrategie – Bei Abwanderungsabsichten aufgrund finanzieller Verluste des Kunden aufgrund eines Fehlers des Unternehmens (Verlustausgleich)
- Dialogstrategie – Erneuter Vertrauensaufbau (persönliche Gespräche, Erklären der Vorteile)
- Austrittsbarrieren – Aufbau von Barrieren, um die Hürde für den Kunden zu vergrößern (Verlustängste schüren, zeitliche, technische oder finanzielle Barrieren einbauen)
Aus unserer Sicht haben sich vor allem individuelle Maßnahmen besonders bewährt, bei denen ein großes Hintergrundwissen über den persönlichen Abwanderungsprozess bekannt ist. Dem Kunden kann somit ein Gefühl der Wertschätzung vermittelt werden, welches dem Kunden oftmals bereits ausreicht, um kleinere Fehler auf Unternehmensseite zu verzeihen. Außerdem konnten wir feststellen, dass eine Kombination dieser Strategien bei einzelnen Kunden erfolgreicher war. Deutlich gestiegen ist die Quote immer dann, wenn der Kunde von Anfang an in das Unternehmen integriert und es gewohnt war, von dem Unternehmen zu hören. Dazu können klassische Loyalitätsprogramme, aber auch Werbespiele und je nach Kundengruppe auch Social Media Aktivitäten dienen.
Fazit
Wenn Sie dieses Thema angehen wollen, versichern Sie sich des Rückhalts des Top-Managements. Churn Prevention bedeutet immer auch ein eigenes Umdenken, da nur so eine wirkliche Veränderung herbeigeführt werden kann. Das oberste Ziel sollte sein, das Vertrauen in Ihr Unternehmen und Ihre Marke im Dialog mit dem Kunden zu stärken. Nutzen Sie die Prozesse wie einen verlängerten Arm in Ihrem Kundenbindungsportfolio und versuchen Sie damit Ihre Kunden zu entwickeln.
Gute Kundenkommunikation hört niemals auf und eine solide Abwanderungsprävention kann Ihr Joker im täglichen Kampf um die Gunst Ihrer Kunden sein.
Samstagabend. Nach dem Fiasko vom Vorabend hat sich das Pärchen nun ein anderes Restaurant ausgesucht. Die guten Kritiken im Netz scheinen sich zu bewahrheiten; das Essen ist gut und der Service herzlich und aufmerksam. Als die beiden beim Hauptgang sitzen fällt dem Kellner auf, dass die Frau ihr Steak noch nicht angerührt hat. Er fragt sie danach und sie antwortet, dass es ihr zu blutig sei. Ohne zu zögern, bietet der Ober an, das Fleisch noch einmal kurz anzubraten und entschuldigt sich für das Missgeschick. Sie willigt ein und freut sich schon bald über ein Medium gebratenes Steak. Am Ende des Abends twittert sie lediglich wie aufmerksam der Service gewesen ist und dass beide dort schon bald wieder hingehen werden.
Hier hat der Kellner alles richtig gemacht. Seine Aufmerksamkeit hat das Problem erkannt, bevor es sich zu einer Krise auswirken konnte. In seiner Kommunikation stand nicht die Schuldfrage, sondern nur das Wohl des Gastes im Mittelpunkt. Bei den Gästen überwog die Übererfüllung ihrer Begeisterungsanforderung „Aufmerksamer Service“ bei weitem die leichte Untererfüllung der Leistungsanforderung „Gutes Essen“, so dass letztere bei der Entscheidung eines Wiederkaufes nicht mehr ins Gewicht fiel.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen UND Ihren Kunden gute und nachhaltige Geschäfte.
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