Christoph Strobel: Neue Technologien haben es nicht leicht, insbesondere wenn sie eine Gefahr für die Privatsphäre und den Datenschutz darstellen. Aus diesem Grund ging der Big Brother Award in diesem Jahr an – die Cloud.
Foto: Pacal Hahulla, CC BY-SA
Das Thema technischer Fortschritt wird in Deutschland traditionell aus einer gesicherten Deckung behandelt. Deshalb entsteht auch schnell der Eindruck, als seien wir Neuem und damit einhergehenden Veränderungen weniger aufgeschlossen als beispielsweise die US-Amerikaner.
Gleichzeitig gibt es eine massive Kluft zwischen Netzexperten und Online-Verweigerern. Während eine Infoelite mit ihren Smartphones verwachsen ist und darüber diskutiert, welchen Einfluss das digitale Leben auf Rechtsprechung und Gesetzgebung haben wird, hat ein Großteil keine Ahnung von Facebook und Co. oder schlicht kein Interesse an den Möglichkeiten des Internets. Und nein: Verweigerung ist keine Frage des Alters.
Und dann sind da noch die Medien. Sie berichten tendenziell eher über die Schwierigkeiten und Absurditäten der digitalen Gesellschaft, als Vorteile oder Aufklärung in den Vordergrund zu stellen. Zugegeben: Gerade letzteres ist keine leichte Aufgabe. Schnell laufen die Nachrichtensendungen Gefahr, durch aufwändige Videoanimationen, Illustrationen und eine bewusst einfache Wortwahl Themen wie Social Media, Cloud Computing oder Urheberrecht weltfremder zu präsentieren, als sie in Wahrheit sind.
Negativpreis mit Hintergedanken
Vor diesem Hintergrund sind in diesem Monat zum zwölften Mal die Big Brother Awards in Deutschland vergeben worden. Dabei zeichnet eine Jury aus Vertretern verschiedener unabhängiger Organisationen Firmen, Organisationen und Personen aus, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Der Negativpreis, benannt nach dem Überwachungssystem in George Orwells Roman „1984“, ist ein internationales Projekt und wird in 15 Ländern vergeben. Die Preisskulptur, eine von einer Glasscheibe durchtrennte und mit Bleiband gefesselte Figur, zeigt eine Passage aus Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“.
Beispiele: Ein Hersteller von Wasserspendern wurde dafür ausgezeichnet, dass seine an Schulen aufgestellten Geräte nur dann Wasser spenden, wenn Kinder diese mit einer mit einem RFID-Funkchip verwanzten Flasche abzapft. In der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ erhielt das Landeskriminalamt Sachsen den Preis, weil es nach einer Demonstration gegen Nazis die Telekommunikationsverbindungsdaten für 28 Funkzellen angefordert hatten. Bald tauchten die erhobenen Daten in Strafverfahren auf, für die man sicher keine Funkzellenabfrage genehmigt bekommen hätte.
Big Brother Award geht in die virtuelle Wolke
Weniger konkret, dafür um so polemischer, geriet die Begründung für die Preisvergabe in der Kategorie „Kommunikation“. Hier ging der Big Brother Award pauschal an die Cloud als Trend, der Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu entzieht.
Die Jury warnt vor der starken Lobby der US-amerikanischen Cloud-Anbieter und der unkontrollierbaren Datenspeicherung auf US-Boden. Der Grund: US-Firmen können nach dem US-Antiterrorgesetz „Patriot Act“ und dem „FISA Amendments Act of 2008“ (Foreign Intelligence Surveillance Act) Absatz 1881 dazu verpflichtet werden, Behörden Zugriff auf die Daten auch europäischer Kunden geben.
Auch das „Safe Harbor“-Abkommen zwischen den USA und der EU, durch das US-Unternehmen zusichern, europaähnliche Datenschutzregeln einzuhalten, steht in der Kritik. Die Unternehmen zertifizieren sich selbst – ohne unabhängige Kontrolle. Die Folge: Die sogenannte Galexia-Studie stellte 2008 fest, dass von 1.597 amerikanischen Unternehmen, die in der Safe Harbor-Liste stehen, tatsächlich nicht mehr als 348 auch nur die formalen Voraussetzungen für diese Zertifizierung erfüllten.
Die Kritik der Jury ist angebracht. Das sind die Gründe, warum die Cloud insbesondere für die Business-IT in Deutschland und Europa kein Experimentierfeld ist und warum ihre Verbreitung eher bedächtig fortschreitet.
Cloud ist nicht gleich Cloud
Dennoch ist der Big Brother Award in dieser Kategorie über das Ziel hinaus geschossen. Cloud ist nicht gleich Cloud. Die Begründung der Preisverleiher lässt leider außer acht, dass es nicht nur verschiedene Typen der Cloud (Public, Hybrid und Private) gibt, sondern auch Anbieter, die auf die genannten Kritikpunkte reagieren und gerade im Businessbereich Lösungen präsentieren, die nach europäischen Maßstäben datenschutzkonform sind (zum Beispiel Amazon DB). Sie haben es nun doppelt schwer, ihre Modelle gegen die allgemeinen Vorbehalte und die Verunsicherung durchzusetzen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Es darf aber davon ausgegangen werden, dass sowohl im privaten wie auch im Businessbereich die Cloud nicht mehr aufzuhalten ist. Vorteile wie Flexibilität und Kosteneffizienz sind Treiber, die sich gegen Vorbehalte durchsetzen werden. Die Hausaufgaben sind klar:
- Auf- und Ausbau von vertrauenswürdigen Cloud-Diensten
- Neugestaltung der europäischen Datenschutzrichtlinien
- Bewahrung der digitalen Mündigkeit
- Juristische und technische Aufklärung
Dann wollen wir doch mal sehen, ob sich die Cloud im nächsten Jahr nicht schon in einer anderen Kategorie des Big Brother Awards wiederfindet, und zwar in „Lobende Erwähnungen“.
Gastbeitrag von Christoph Strobel
Ein Kommentar
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