Nach dem Eurovision Song Contest in Baku und dem schwindenden Medieninteresse ist die Sorge groß, dass die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan wieder ansteigen. Andererseits knüpft sich an die technologischen Fortschritte rund um den Event die Hoffnung, dass sie die Grundlage für einen nachhaltigen Wandel darstellen.
Am vergangenen Samstag fand in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, das größte Musikevent der Welt statt – der Eurovision Song Contest. 26 Nationen, die der Europäischen Rundfunkunion angeschlossen sind, stellten im Finale jeweils ihren Song den rund 16.000 Besuchern in der Baku Crystal Hall sowie den 125 Millionen Fernsehzuschauern vor. Am Ende gewann der schwedische Beitrag „Euphoria“ von Loreen.
Die Kritik an dem ESC in Baku war groß. Aserbaidschans politische Führung gebärt sich totalitär und verletzt regelmäßig die Menschenrechte. Regimekritiker werden schikaniert, eingeschüchtert und angegriffen; das gleiche gilt für unabhängige und oppositionelle Journalisten und Blogger. „So läuft es in dem Land seit Jahren“, sagt Rasul Jafarov, Blogger und Chef des Menschenrechtsclubs von Baku. „Im Jahr 2005 ist ein Journalist vor seinem Haus erschossen worden, und die Regierung von Aserbaidschan will den Fall nicht aufklären. Zehn Journalisten und Blogger waren schon im Gefängnis. Auch deshalb möchte heute kaum jemand mehr in Aserbaidschan Journalist werden. Das ist ein Problem.“
Viel Tamtam und Propaganda…
Jetzt ist die Show vorbei und die Sorge bei vielen Einwohnern und Menschenrechtsorganisationen groß, dass die Probleme des Landes international nicht weiter thematisiert würden. Dagegen lässt sich einwenden, dass die umfassende Aufmerksamkeit nachhaltig dafür sorgen wird, dass Baku und Aserbaidschan – und auch die Probleme – stärker in den Fokus rücken als noch vor dem Contest.
Der Grund ist die massive technologische Aufrüstung, die die Regierung im Vorfeld des ESC betrieben hat. Der Termin wurde zum Meilenstein für die Digitalisierung des Landes hinsichtlich Medien- und Telekommunikationsdienste stilisiert. Teile des Landes profitieren bereits von der Digital-TV- und Breitband-Strategie der Regierung. Präsident Ilham Alijew räumt dem Ausbau der Informations- und Telekommunikationstechnologien höchste Priorität ein. Es gehe ihm um die Entwicklung der Bildung und der Wissenschaft des Landes, sagte er im Rahmen der Feierlichkeiten zum Tag der Republik am 28. Mai 2012.
Natürlich sind solche Äußerungen mit Vorsicht zu werten. Propaganda wird in Aserbaidschan groß geschrieben. So wurden Häuser und Wohnungen zum Bau des Stadions zwangsgeräumt und unter der Bezeichnung „Gürtel des Glücks“ eine Mauer errichtet, damit die Besucher die umliegenden Slums nicht einsehen können.
… als Chance nutzen
Dennoch sind erste Fortschritte erkennbar. Der Ausbau der ITC-Infrastruktur ist Voraussetzung, um weitere Investoren in das Land zu locken und ausländische Firmen anzusiedeln. Im März wurde zwischen Deutschland und Aserbaidschan eine bilaterale Auslandshandelskammer (AHK) gegründet, und in den kommenden Monaten finden gleich mehrere Reisen von Handelskommissionen der Bundesländer nach Aserbaidschan statt. Sie sollten sich verpflichtet sehen, neben wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auch Bedingungen an die politischen Verhältnisse zu formulieren.
Aus Sicht von Staaten wie den USA ist Aserbaidschan ein wichtiges Element der eigenen Energieaußenpolitik, die darauf abzielt, alternative Energiequellen und Transitrouten zu erschließen. Der Rohstoffreichtum ist es aber auch, der Aserbaidschan weitestgehend von ausländischer Hilfe unabhängig macht. Die Globalisierung des Landes muss sich daher umso stärker auf die Achtung der Menschenrechte ausrichten.
Nun ist es leicht, aus sicherer Ferne Thesen zu formulieren. Und es ist sicher noch ein langer sowie für viele von uns ein nicht nachvollziehbarer und kaum vorhersagbarer Weg, den die Opposition in Aserbaidschan vor sich hat. Aber es wäre genauso töricht, die Entwicklung nicht optimistisch zu sehen: ITC-Technologien und eine Medienverbreitung werden die Arbeit von Journalisten und Bloggern erleichtern können. Je besser es ihnen gelingt, Missstände und Repressalien nach außen zu tragen und den Fokus der Welt auf sich zu ziehen, desto größer werden die Chancen für einen Wandel. Die Aktivisten haben die einmalige Chance, die polierte Fassade der Regierung und den Wirbel rund um den ESC für sich zu nutzen, um unterstützende Kräfte ins Land zu holen und Verbündete in der ganzen Welt zu finden.
Der ESC war erst der Anfang.