Übernahmen: Chancen und Herausforderungen für Europas ITK-Unternehmen

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Übernahmen sind ein gutes Mittel zur Stärkung des Unternehmens-Portfolio, sie öffnen schwächelnden Partnern sogar neue Chancen. Einige Beispiele in Europa zeigen, dass der Markt derzeit in Bewegung ist – und keine Position langfristig in Stein gemeißelt ist.

Mitarbeit am Artikel Michael Hülskötter

Schon vor zwei Jahren hätte es so manchem IT-Service-Guru in den Ohren klingeln müssen: Da verabschiedete sich nämlich mit Siemens IT Solutions and Services (SIS) einer der größten IT-Dienstleister Deutschlands, und das zu einem Schnäppchenpreis von 850 Millionen Euro. Bezahlt hat der neue Besitzer Atos aus München allerdings nur 185 Millionen Euro, den Rest beglich das Unternehmen in Form von Wandelanleihen und Anteilsscheinen. Dieser Deal hat sich ausgezahlt: Seitdem zählt Atos zum zweitgrößten Serviceprovider in Deutschland – hinter IBM. So ganz nebenbei mauserte sich Atos zum weltweiten IT-Provider der Olympischen und Paralympischen Spiele.

IT zum Schnäppchenpreis

Sicher ist es etwas weit hergeholt, diese Übernahme zum Schnäppchenpreis im Zusammenhang mit der Eurokrise zu sehen. Aber es fällt auf, dass derzeit öfter einst starke europäische Anbieter von IT-Lösungen zu Übernahmekandidaten werden.

So meldeten diverse Medien übereinstimmend, Kanadas größter Service-Anbieter, die CGI Group wolle für rund 2,6 Milliarden Euro den niederländisch-britischen Service-Provider Logica übernehmen. Dieser Kaufpreis erscheint angesichts eines Jahresumsatzes von fast fünf Milliarden Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr als ein sehr attraktives Angebot. Und Logica wird diese Offerte wohl annehmen, zu groß scheinen die strukturellen Probleme des Unternehmens zu sein. Zudem musste die Firmenleitung erst vor kurzem eine Gewinnwarnung herausgeben und kündigte bereits Personalabbau im größeren Stil an. Keine guten Vorzeichen also für eine Weiterführung der Geschäfte. Und für CGI wäre dieser Deal die notwendige Verstärkung seiner Dienstleistungen in Europa. Denn laut Michael Roach, CEO des Service-Anbieters, haben zwei Drittel seiner Kunden ihren Stammsitz im europäischen Ausland. Eine strategische Entscheidung also.

Prominentestes Opfer in einem sich offenbar konsolidierenden IT-Markt könnte indes Nokia werden. Das einst wertvollste Unternehmen in Europa steht vor einem großen Umbruch: Marktanteile gehen verloren, unter anderem an Apple und Samsung. Außerdem trennen sich die Finnen von bis zu 10.000 Mitarbeitern. Mittlerweile wird das Unternehmen an der Börse um 38 Prozent unter dem Buchwert gehandelt – günstiger war Nokia noch niemals zuvor bewertet, wie aus Daten von Bloomberg hervor geht, die bis in das Jahr 1995 zurückreichen. Nokia wird damit zum heißen Übernahmekandidaten und interessant für Big Player, die auf eine Zukunft des Unternehmens mit mobiler Technologie setzen. Als wahrscheinlichster Käufer gilt der wichtige Partner Microsoft. Dessen Ziel sei es schließlich, die Smartphones mit Windows-Betriebssystem als ernstzunehmenden Gegner der Betriebssysteme iOS und Android zu positionieren, wie Charlie Wolf von Needham & Co. in New York im Gespräch mit Bloomberg sagte.

Chancen erkennen und nutzen

Dass es derzeit offenbar auch anders laufen kann, beweist SAP und setzt ein starkes Zeichen pro IT-Standort Deutschland und Europa. Das Unternehmen aus dem badischen Walldorf hat die Zeichen der Zeit erkannt und konzentriert sich mehr und mehr auf das zukunftsträchtige Cloud-Service-Geschäft. So konnte die Firma von Gründer Dietmar Hopp erst im Dezember 2011 die Übernahme des Cloud-Spezialisten SuccessFactors vermelden, und im Mai diesen Jahres machte die Nachricht die Runde, die Walldorfer sichern sich die Lösungen und Technologien des Cloud-Anbieters Ariba. Der US-Konkurrent ist auf Handelsnetzwerke spezialisiert und der SAP stolze 3,4 Milliarden Euro wert. Die SAP-Anleger zeigten sich „not amused“ von dem geplanten Kauf, was die zuständigen Gremien der SAP offensichtlich aber nicht sonderlich rührte. Schließlich geht es bei der Übernahme auch um den Hauptkonkurrenten Oracle, dem sie mit dem Kauf von Ariba das Cloud-Geschäft ein wenig abspenstig machen wollen.

Ausverkauf oder nicht. Es lässt sich jedenfalls festhalten, dass Innovationen und zukunftsträchtige Technologien den ITK-Markt in Bewegung halten. Und eine Übernahme kann auch Chancen bedeuten. So hat sich der chinesische PC-Hersteller Lenovo den Zugang zum europäischen Markt mit der 900-Millionen-Dollar-Übernahme von Medion erkauft. Die Rechnung ist für beide Seiten aufgegangen: So beanspruchte Lenovo im ersten Quartal dieses Jahres einen Marktanteil von knapp 15 Prozent und liegt damit im deutschen PC-Geschäft auf Platz zwei hinter Acer, aber mittlerweile vor Hewlett-Packard. Medion seinerseits konnte dank der Vereinbarung mit Lenovo seine Position im deutschen PC-Markt maßgeblich verstärken.

Es wird jedenfalls nicht langweilig. Und wer weiß schon, wie sich der Markt entwickelt und wo Facebook, Google, Apple sowie Samsung in fünf Jahren stehen werden. Oder haben Sie eine Vorahnung?

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