„Wirtschaft und Kunst müssen stärker kooperieren“, weiß Diplom-Psychologe Dr. Roland Geschwill. Der Mitgründer und Geschäftsführer der „Denkwerkstatt für Manager“ erklärt im Interview, wie „Der Rhythmus der Innovation“ Führungskräfte wie Mitarbeiter beschwingen kann.
MIT-Blog: Design Thinking, Agiles Management, Scrum sind die Methoden, mit denen Manager derzeit ihre Mitarbeiter zu mehr Flexibilität und Ideenreichtum bringen wollen. Jetzt kommen Sie und sagen: Manager können Kreativität viel besser von Jazzmusikern lernen. Was denn nun?
Roland Geschwill: Beides schließt sich nicht aus! Musik spielt in den Lounges von Desing Thinking-Werkstätten als inspirierende Kraft im Kreativ-Prozess sogar eine große Rolle. Die Methoden, die Sie ansprechen, greifen jedoch zu kurz. Es sind Methoden, die zur konkreten Problemlösung eingesetzt werden, nicht zur Persönlichkeitsbildung. Manager lernen jedoch von Künstlern mehr und nachhaltiger.
MIT-Blog: Was denn?
Roland Geschwill: Wenn Sie etwa mit dem Jazz-Pianisten Jens Thomas mal ein Tagesseminar gemacht haben, werden Sie als Manager nie mehr in Ihrem Leben eine langweilige Präsentation machen. Wenn Sie mit einem von unseren KunstmanagerTeams einmal ihr neuestes Projekt besprochen haben, werden Sie anschließend in dem Projekt anders arbeiten. Der Spaß ist die Konfrontation von Kunst und Management. Sie lernen im Managementtraining und in ihrem Projekten Typen kennen, die Kunst erfolgreich vermarkten. Da bleibt mehr hängen als ein bisschen Agiles. Gleichzeitig ist diese Konfrontation nur etwas für Manager, die lernen und sich tatsächlich verändern wollen.
MIT-Blog: In Ihrem neuen Buch „Der Rhythmus der Innovation“ zeigen Sie, wie Manager von Künstlern gelernt haben. Können Sie ein Beispiel nennen und sagen, was sich daraus in Sachen Kreativität ableiten lässt?
Roland Geschwill: Nehmen wir Reinhold Würth zum Beispiel. Seine Firma ist der weltgrößte Schraubenhersteller. Hauptsitz ist Künzelsau in Baden-Württemberg. Da denkt man erst einmal an biedere Manager. Reinhold Würth hat schon sehr früh in seiner Karriere bildende Künstler privat besucht. Dabei sagt er, habe er viel über deren Art zu denken und Bilder zu entwickeln erfahren. Wenn Sie malen, dann geraten Sie in Schaffenskrisen. An Punkte, an denen Ihnen scheinbar nichts mehr gelingt. Und gerade diese Krisen führen häufig zu etwas ganz Neuem.
MIT-Blog: Inwiefern?
Roland Geschwill: Künstler nutzen Krisen zur Entfaltung wichtiger Kreativität, dem Schaffen von Neuem und Einzigartigem. Reinhold Würth hat diese Erfahrungen auf sein Unternehmen ausgedehnt, in dem er Vernissagen in den Büros und Produktionsstätten des Unternehmens durchführte. Dort hingen Bilder, die provozierten. Es gab Diskussionen, ob der Akt noch Kunst sei; wieviel Abweichung von der Norm, denn überhaupt erlaubt sei. Und das in einem Unternehmen, das normierte Schrauben verkauft. Wegen dieser Diskussionen sind viele Mitarbeiter zur Arbeit gegangen. Diese Provokationen haben eine Unternehmenskultur geprägt: Bei Würth ist etwas los! Die Auseinandersetzung mit Kunst erschließt somit ganz andere Welten. Das sind richtige Denkschulen für Manager und Mitarbeiter. Das hat Reinhold Würth sehr früh erkannt – und davon profitiert.
MIT-Blog: Wie lassen sich Unternehmen, die mitunter große, schwerfällige Tanker sind, auf Innovation trimmen?
Roland Geschwill: Es stimmt, die Unternehmen suchen nach Innovationen und nach kreativen Produkten. Wir stehen an der Schwelle der digitalen Revolution. In den kommenden Jahren werden sich Geschäftsmodelle radikal verändern. Darüber diskutieren heute alle Vorstände der DAX-Unternehmen. Ihnen ist zu empfehlen, einen Blick in die Kunst- und Musikszene zu wagen. Denn der Jazz hat wichtige Vertreter, denen es gelungen ist, signifikante Wendungen hinzubekommen.
MIT-Blog: Wen zum Beispiel?
Roland Geschwill: Der eine ist der kürzlich verstorbene US-Saxofonist Ornette Coleman. Von ihm hat die 37-minütige Kollektivimprovisation „Free Jazz“ 1960 den bis dahin behäbigen Bebop um 180 Grad verändert. Jazz war plötzlich ein demokratisches miteinander Improvisieren. Es gab keine festen Partituren mehr und es entstand großartige Musik. Ähnliches erlebt man momentan in Unternehmen. Dort gibt es eine neue Generation von Managementschulen. Man geht konsequent weg vom hierarchischen Führen und managt Unternehmen lateral, von der Seite, also auf Augenhöhe. Partizipation ist die Herausforderung für Unternehmen. Die Mitarbeiter sollen möglichst viel eigenverantwortlich entscheiden, nicht allein der Boss.
MIT-Blog: Von welchem Künstler können Manager noch lernen?
Roland Geschwill: Zum Beispiel von Miles Davis. Er hat mindestens drei Mal in seinem Leben den Jazz revolutioniert. Manager können von ihm lernen, wie man, wenn man wirklich neue Visionen umsetzen möchte, große Entwürfe gegen Widerstände zum Erfolg führt. Umbrüche wie die der digitalen Ökonomie, brauchen große Entwürfe. Die Kunst hat viele davon geliefert. Davon etwa handelt mein Buch.
MIT-Blog: Wie können Führungskräfte ihren Managementjob durch Anleihen aus der Kunst konkret verbessern?
Roland Geschwill: Sie sollten in Museen gehen und ihre Sehgewohnheiten ändern. Sie sollten mit Performance-Künstlern arbeiten und ihre Präsentationen verbessern. Sie sollten mit Provokationen bessere Leistungen bei ihren Mitarbeitern erreichen. Sie sollten besonders große Ideen entwickeln, mit denen sie Kollegen und Mitarbeiter im Unternehmen begeistern. Denn: Kunst ist alles, was ankommt – auch in der Wirtschaft!
MIT-Blog: Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!
Über Dr. Roland Geschwill
Dr. Roland Geschwill ist Mitgründer und Geschäftsführer der „Denkwerkstatt für Manager“. Bereits seit 1986 berät der Diplom-Psychologe Führungskräfte. Sein Standardwerk „Employer Branding“ (gemeinsam mit Florian Schuhmacher) erscheint bei Springer Gabler. Ebenso sein neues Buch „Der Rhythmus der Innovation“:
Roland Geschwill
Der Rhythmus der Innovation
Was Manager und Unternehmen von Jazzern
und anderen Künstlern lernen können
Springer Gabler 2015
230 Seiten
ISBN 978-3-658-08455-4
39,99 € (D)
Weitere Informationen zum Buch.
Darüber hinaus engagiert sich Roland Geschwill ehrenamtlich als Vorstandssprecher des Fördervereins „Friends“ beim renommierten Festival „Enjoy Jazz“.
Porträtfoto: © Dr. Roland Geschwill
Buchcover: © Springer Gabler